Thomas Lawinky/Armin Petras: Mala Zementbaum

Konzeptionelle Überlegungen

Mala Zementbaum wurde als szenische Lesung realisiert. Im Mittelpunkt des inszenatorischen Zugriffs stand der Gedanke des Experiments: In einem präparierten Hotelzimmer werden die beiden ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Kevin und Homer zu (unwissenden) Teilnehmern eins Experiments, das der Frage nachgeht: Wie reagieren Menschen in intransparenten Situationen, die durch geschürte Ängste und Abhängigkeiten weiter verschärft werden? Durch diesen Ansatz gelang es, den Text nicht auf das Erinnern (und Aburteilen) der Stasi-Geschichte zu reduzieren. Vielmehr konnte der Blick geschärft werden für das Funktionieren autoritärer Mechanismen. Um diesen Experimentcharakter für den Zuschauer deutlich zu markieren, wurden u. a. die szenischen Nummerierungen als Tage und die verwendeten Regieanweisungen als Experimentbeobachtungen über Mikrofon eingelesen. Vor dem Hintergrund, dass der Schauspieler und Koautor Thomas Lawinky sein biografisches Material dem Autor Armin Petras zur Verfügung gestellt hat und beide ihre Version persönlicher und historischer Geschichte dem Leser/Zuschauer anbieten, wurde zudem das Erzählen von Geschichte(n) zu einem zweiten zentralen Motiv der szenischen Lesung: Wird wirklich der schönsten Geschichte geglaubt, wie der Wissenschaftler im Stück behauptet? Wie zum Experiment mit dem ahnungslosen Leser/Zuschauer hat Petras seinem Text die Geschichte von der Flucht der Gefangenen Mala Zimetbaum aus dem KZ Auschwitz implementiert. Dass diese Geschichte seitens Petras’ manipuliert ist, wurde erst bei intensiver Beschäftigung mit dem Stoff deutlich. In der szenischen Lesung wurde die Differenz zur historisch verbürgten Geschichte insofern markiert, als beide Geschichten nebeneinander gestellt wurden. Damit konnte zugleich die Form der szenischen Lesung als Ort unmittelbarer Auseinandersetzung mit Geschichte − und nicht als abschließende Deutungsinstanz − beim Zuschauer ins Bewusstsein gerückt werden.

Szenische Lesung:
Die Einrichtung einer szenischen Lesung zwingt zur Auseinandersetzung mit dieser besonderen szenischen Form. Angesichts dieses Textes entschieden wir uns von vornherein gegen ein Lesen am Tisch. Das symbolische Bild eines „sauberen“ Lesens am Tisch schien uns unangemessen angesichts des „dreckigen“ Textes, der nicht zuletzt den Leser/Zuschauer mit seinen Geschichten verführen will. Ziel war es vielmehr, das Perfide in allen Figuren zu suchen und hierfür szenische Akzente zu finden, um die Haltungen der Figuren sowie die Situationen deutlich zu machen. Über solche szenischen Verstärkungen wurden zudem Aufmerksamkeitspunkte geschaffen, welche die Rezeption unterstützten. Des Weiteren war es möglich, den Text wegzurücken von der vordergründigen Stasi-Geschichte: Indem die Hauptfigur Homer das szenische Mittel des Graffitisprühens verwendete, konnte (szenisch) eine Form aktueller jugendlicher Aufbegehrenskultur in Beziehung gesetzt werden zur (textlich beschriebenen) Jugendkultur der DDR. Dabei sollte ursprünglich auch die Homer-Simpson-Figur verwendet werden als Form der Selbststilisierung der Hauptfigur − als der nette Looser-Typ, dem man gern verzeiht. In der Probenarbeit hat sich das nicht als praktikabel erwiesen und wurde reduziert auf Textgraffiti.